Aktuelles aus Syrien: Ein Reisebericht

endlich ein Wiedersehen mit der Heimat, der Familie, den Freunden! Vor zehn Jahren ist unsere Kollegin A., mit ihren zwei kleinen Kindern auf dem gefährlichen Weg über das Mittelmeer vor dem Krieg in Syrien geflüchtet. Nun konnte sie nach dem Sturz Assads – und  dank ihres mittlerweile deutschen Passes – erstmals wieder in ihre Heimat reisen. Es wird eine Achterbahn der Gefühle – Wiedersehensfreude, Hoffnung, aber auch tiefe Niedergeschlagenheit über die unfassbare Armut und die Lebensbedingungen der Menschen.

Wer dieser Tage nach Syrien reist, tut dies meist über den internationalen Flughafen in Beirut. Von dort aus nimmt auch A. ein Taxi zur Grenze, um auf der anderen Seite in ein syrisches Taxi zu steigen, das sie ans Ziel bringt. Den Fahrer hat A. vorab über Verwandte gefunden. Mit einem Fremden zu fahren, wäre viel zu riskant. Denn angesichts regional ungeklärter Machtverhältnisse hat die Kriminalität in den letzten Monaten extrem zugenommen.
Nach stundenlanger Fahrt endlich die Ankunft in dem Heimatort, aus dem A. vor zehn Jahren geflohen ist. Schon auf dem Weg dorthin ist sie erschüttert über den Grad der Verwüstung, den sie vom Auto aus sieht. Die meisten Gebäude sind vollkommen zerstört. (Das Foto oben hat A. auf dieser Fahrt in einem Vorort von Damaskus aufgenommen.) Als sie ankommt ist es schon dunkel, stockdunkel und menschenleer. Es gibt keine Straßenbeleuchtung und die Menschen vermeiden es, nach Sonnenuntergang auf die Straße zu gehen. Zu groß ist die Gefahr, überfallen, ausgeraubt oder entführt zu werden. Die Situation, die A. in Syrien vorfindet, bedrückt sie sehr: „Die Menschen sind noch viel, viel ärmer, als ich erwartet hatte. Die Lebensmittelpreise sind so sehr gestiegen, dass ich mir nicht erklären kann, wie Menschen ohne das Geld von Verwandten im Ausland überleben können, ohne den Müll nach Essbarem zu durchsuchen oder betteln gehen müssen. Es ist sehr deprimierend.“

Zu Hause bei ihrer Mutter wird, wie in den meisten Wohnungen, mit einem Holzofen geheizt. Gas ist unbezahlbar und Strom gibt es nur wenige Stunden am Tag. Wer die Möglichkeit hat, kocht draußen vor der Tür auf einem Holzfeuer. Für A. fühlt es sich an, wie im Mittelalter. Nahezu alles ist für die Menschen hier unerschwinglich geworden: Lebensmittel, Medikamente, Seife – unbezahlbar. Ein Kilo Fleisch kostet beispielsweise zehn bis zwölf Euro – und das bei einem durchschnittlichen Monatsgehalt von etwa 30 €. A. schickt deshalb jeden Monat einen Teil ihres Gehalts nach Syrien. 

Gleichzeitig entwickeln sich für einige offenbar lukrative Parallelstrukturen: Wer wie A. aus dem Ausland zu Besuch kommt und eine Unterkunft braucht, da das eigene zu Hause nicht mehr existiert, muss bis zu 1000 € Miete im Monat für ein Zimmer aufbringen. Das hoheitliche und zivilrechtliche  Machvakuum begreifen verschiede Akteuren offenbar als Einladung, sich skrupellos zu bereichern. Fehden und neuerdings auch wieder Kämpfe zwischen verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen tragen zusätzlich zur Verunsicherung bei. Auf der Straße trägt A. eine Mütze und einen langen Mantel, um nicht angesprochen zu werden, warum sie nicht verschleiert ist – dabei trägt sie als Angehörige einer kleinen religiösen Minderheit normalerweise keine Kopfbedeckung und fastet auch nicht im Ramadan. Jetzt  wird auch sie vor Sonnenuntergang nicht in der Öffentlichkeit essen oder trinken. Tut sie es doch, so läuft sie Gefahr bei den örtlichen Behörden gemeldet und schikaniert zu werden. Insgesamt entsteht bei ihr der Eindruck, die Regierung könne nicht überall für ausreichende Sicherheit sorgen.

Die großen Hoffnungen, die durch den Sturz des Assad-Regimes entfacht wurden, sind dennoch nicht gänzlich verschwunden. Vieles hat sich auch zum Guten gewandt: Menschen können ihre Meinung wieder frei äußern, ohne mit Verfolgung rechnen zu müssen. Junge Männer müssen nicht mehr zum jahrelangen Militärdienst, sondern können arbeiten, um zum Familieneinkommen beizutragen und Menschen können aus den Zeltlagern im Norden oder aus dem Ausland  wieder zu ihren Familien zurückkehren. 

Um die große Diskrepanz zwischen den katastrophalen Lebensbedingungen und der Hoffnung auf einen politischen Neuanfang zu überbrücken, braucht es Zeit. Weder die jetzige Regierung noch sonst jemand wird eine schnellwirkende Zauberformel finden. Entscheidend ist, in dieser Zeit des Übergangs eine transparente und einende Politik zu verfolgen. Nur dann wird es möglich sein, die überlebenswichtige internationale Hilfe für einen schnellen Wiederaufbau Syriens zu generieren und einen stabilen gesellschaftlichen Frieden herzustellen. Die jüngste Vereinbarung zwischen der islamistischen Übergangsregierung und den Kurden im Norden könnte daher ein Anlass zur Zuversicht sein.

A. hat sich im Laufe der letzten zehn Jahre sehr gut in Deutschland eingelebt. Sie arbeitet und verdient ihren eigenen Lebensunterhalt. Ihre Kinder haben hier Abitur gemacht und ein Studium begonnen. Alle Drei besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit. Eine Rückkehr nach Syrien können sie sich momentan nicht vorstellen. Das ist nicht bei allen Familien aus unserem Verein so. Doch noch ist es für die Meisten zu früh, sich eine sichere Zukunft in der alten Heimat vorzustellen.

Was heißt das für uns als Verein? Unsere Hauptaufgabe ist es nun, die Menschen, die in den vergangenen Jahren über uns Flüchtlingspaten hierhergekommen sind, stark für die Zukunft zu machen – egal, wo diese stattfinden wird. Da das Landesaufnahmeprogramm Berlin, auf dessen rechtlicher Basis wir bis zum 31.12.2024 gearbeitet haben, nicht verlängert wurde und es keinen Familiennachzug über Verpflichtungserklärungen mehr geben wird, liegt unser Fokus nun auf der beruflichen Qualifizierung. Sie ist unerlässlich – sowohl um sich ein Leben in Deutschland aufzubauen als auch für eine eventuelle Rückkehr nach Syrien. Je besser die Menschen qualifiziert sind, die den Aufbau des Landes eines Tages in die Hand nehmen werden, desto erfolgreicher wird er sein.

Wichtig: Die zuletzt eingereisten Familien werden wir für die Dauer ihrer fünfjährigen Verpflichtungserklärung weiter unterstützen – also maximal bis 2030. Damit das Geld bis dahin ausreicht, sind wir noch eine Weile auf Spenden angewiesen bis wir mit unseren Rücklagen ein ausreichendes Finanzpolster für die Versorgung aller gebildet haben.  

Wir sind also trotz all der Veränderungen weiterhin auf Unterstützung angewiesen. 

Herzlichen Dank und alles Gute in diesen wilden Zeiten wünschen