Kritik – und was wir antworten

Auf unserer Facebookseite hören wir oft fundamentale, mitunter hasserfüllte Kritik an unserer Arbeit. Meist würden die vorgebrachten Punkte den jeweiligen Post mit Streit über die Flüchtlingspolitik überlagern; darum löschen wir generelle Kommentare oft undiskutiert. Weil viele der ablehnenden Meinungen wiederkehrend sind, haben wir einige der typischen Statements hier aufgelistet, um auf das Vorgebrachte zu antworten. Fragen Sie gern weiter nach, wenn Sie Kritik an unserer Arbeit haben.

„Der Krieg in Syrien ist vorbei; dort liegen sie wieder am Strand und shoppen in den Fressmeilen“
Kein Krieg findet immer überall gleich stark statt, und auch der Krieg in Syrien ist in manchen Regionen teilweise abgeebbt – und in anderen dafür um so schlimmer. Wir klären, bevor wir einem syrischen Angehörigen helfen, mit der renommierten „Stiftung Wissenschaft und Politik“ die tagesaktuelle Bedrohungslage im jeweils angefragten Ort. Die militärische Situation ist für uns ein wichtiger Grund, zu helfen. Und jeder, der unsere Hilfe bekommt, ist in direkter Gefahr für Leib und Leben – durch kriegerische Handlungen oder durch Verfolgung zB. durch den IS oder das Assad-Regime. Unsere aktuelle Datenbank umfasst 80 syrische Orte – und wir können klar sagen, dass der Krieg in Syrien zwar aus dem Fokus der Medien gerät, aber leider alles andere als beendet ist.

„Deutschland kann nicht Millionen aufnehmen.“
Das steht für uns nicht zur Diskussion; wir haben von März 2015 bis September 2017 nicht Millionen, sondern 225 Menschen hergeholt: Und jeder Einzelne war die Anstrengung wert. Für uns geht es nicht um „Millionen“, „die Muslime“ (oder, zB. aus Aleppo, oft auch „die Christen“) – sondern um zerbrochene Familien, die wir durch unsere Arbeit wieder zusammenbringen können. Uns geht es um jemandens alte Mutter, kleine Schwester, den Ehemann. Der Einzelne zählt! Wir können nur begrenzt und punktuell helfen und machen das auf Augenhöhe für den einzelnen Menschen.

„Der Steuerzahler zahlt, was Ihr macht.“
Eben nicht: denn das Prinzip unserer Arbeit ist ja gerade, dass wir mit Bürgschaften und Patenschaft Lebensunterhalt und Miete der Hergeholten fünf Jahre lang selbst bezahlen. Für den Staat ist das – auch volkswirtschaftlich – oft eine positive Rechnung, denn nach 5 Jahren werden viele der Hergeholten arbeiten, für sich selbst sorgen können und Steuern zahlen – oder, wenn der Krieg in ihrer Heimatregion nachlässt, auch wieder zurückkehren. Und auch die Integration, die Sprachkurse und Lotsenarbeit organisieren und finanzieren wir selbst. Unser Transparenzbericht zeigt, woher unser Geld kommt: 2016 kamen 3.000 € aus Fördermitteln (Lehrmittel für unsere Ehrenamtlichen Sprachkurse); 944.000 € dagegen aus den Spenden unserer Patinnen und Paten!

„Ihr seid illegale Schlepper.“
Nein: Die Landesaufnahmeprogramme, nach denen wir in Berlin und Brandenburg arbeiten (und die es auch in Thüringen, Hamburg, Schleswig-Holstein gibt), sind eine legale Möglichkeit der Familienzusammenführung, die Jahr für Jahr vom jeweiligen Innensenator/minister des Bundeslandes verlängert und vom Bundesinnenminister abgesegnet wird.

„Ihr seid kapitalistische Abzocker der Flüchtlingsindustrie.“
Wir sind ein gemeinnütziger Verein und erzielen weder Gewinne, noch schütten wir irgendwelche anderen Beträge an unsere Mitglieder oder den Vorstand aus. Einer Geschäftsführerin und drei Fachbereichsleiterinnen zahlen wir (kleine) Löhne: Das war’s. Deshalb haben wir die Selbstverpflichtung von Transparency International unterschrieben und machen unsere Mittelverwendung hier transparent. Jeder Cent der monatlich wiederkehrenden Spenden geht ohne Abzug in den Lebensunterhalt und die Miete der Hergeholten. Darüber wacht auch das große Wirtschaftsprüfer-Büro von Roewer, Broenner, Susat, Mazars.

„Uns Deutschen hilft ja auch keiner.“
In einer Zeit, in der viele Deutsche von Verfolgung und Ermordung durch ein Verbrecherregime bedroht waren – im Dritten Reich – waren Flucht und Aufnahme im Ausland in der Tat keine Selbstverständlichkeit. Gerade aus dem, was deutschen Oppositionellen und vor allem den Juden geschah, hat die Weltgemeinschaft nach dem zweiten Weltkrieg gelernt und mit Flüchtlingskonvention und aktueller mit der Kinderrechtskonvention historische Vorgaben gesetzt, die humanitäre Hilfe im Kriegs- und Verfolgungsfall zu einem hohen Rechtsanspruch machen. Und selbst im Dritten Reich gab es kollektive Menschlichkeit durch Drittstaaten: Etwa bei den Kindertransporten, mit denen 1938/39 etwa 10.000 jüdische Kinder aus Deutschland nach Großbritannien gerettet wurden, denen so das furchtbare Schicksal ihrer Familien erspart blieb.

„Ihr seid Teddywerfer und Bahnhofsklatscher.“
Es stimmt: Zur Anfangszeit der Flüchtlings„krise“ ging eine große Welle der Hilfsbereitschaft durch unser Deutschland, die oft hilflos nur mit Begeisterung und Sachspenden ihren Ausdruck fand. Im Sommer 2015 gab es eine große Hoffnung, dass die deutsche Politik und auch Europa als Ganzes eine Antwort auf die vielen Tausend Ankommenden finden würden. Ehrenamtlichkeit wurde populär, aber das Warten auf die Politik brachte keine europaweit tragfähige Lösung für den Spagat, humanitär zu helfen – und die Ankommenden gleichzeitig in unser Leben und unsere Werte einbinden zu wollen. Viele der damals Begeisterten haben Frustration erlebt. Wir sind einen anderen Weg gegangen und haben ein Konzept entwickelt, das nicht Vielen wenig gibt, sondern Wenigen viel: Wir nehmen zusammen mit den Familien die Integration als fünfjähriges Konzept in die Hand – und führen mit fast 50 Ehrenamtlichen die Arbeit, die mit dem „Willkommen“-Rufen erst angefangen hat, in den Alltag fort. Trotzdem empfinden wir „Teddywerfer“ und „Bahnhofsklatscher“ nicht als abwertend. Die Euphorie des Sommers 2015 hat gezeigt, dass unser Land eine empathische, zupackende, menschliche Seite hat – eine Großzügigkeit, die Fremde nicht als Bedrohung sieht, sondern als Chance, zu teilen, zu lernen und zu helfen.

„Ihr importiert Terror und Verbrechen.“
Wir lernen die Menschen, die wir herholen, und ihre Familien zu Beginn unserer Zusammenarbeit gut kennen. Die Ausländerbehörden, die deutschen Botschaften und das BKA prüfen die Echtheit und Plausibilität der vorgelegten Dokumente vom Pass bis zum Familienregister oder Ehevertrag. In unseren Filtergesprächen machen wir uns ein persönliches Bild der hiesigen Angehörigen – und sorgen auch nach der Einreise für eine intensive Betreuung. Und gerade die Familienzusammenführung sorgt ja für den Abbau von Perspektivlosigkeit und Verzweiflung und eine hohe Motivation, die Zeit in Deutschland sinnvoll zu nutzen. Keiner der von uns Hergeholten ist jemals straffällig geworden.

„Es sind nur Männer hier, die ihre Familien im Stich gelassen haben. Die sollen nicht nachholen, sondern heimkehren.“
Tatsächlich kamen zu Beginn der Flüchtlings„krise“ viele – oft junge – Männer, und das mit gutem Grund: Denn das Assad-Regime führte einen erbarmungslosen Kampf gegen Oppositionelle, und auch IS und diverse Milizen waren nicht zimperlich, wenn es um Zwangsrekrutierung, Erpressung zum Mitkämpfen und die Verfolgung Andersdenkender ging. Deshalb waren oft die wehrfähigen Männer im Fokus der Gefahr – und flohen Hals über Kopf ohne Ziel und konkrete Perspektive. Von Beginn an war Flucht auch eine Geldfrage, denn habgierige Schlepper ließen sich ihre Hilfe beim Weg übers Mittelmeer teuer bezahlen und verlangten oft weit mehr, als eine Familie für alle Mitglieder bezahlen konnte.
„Im Stich lassen“ ist für diese Flucht Einzelner der falsche Begriff, denn die Flucht war nicht freiwillig. Was nützt ein Vater der Familie, der in Syrien bleibt, aber sein Leben in einem Zuchthaus des Regimes verbringt oder vom IS als „Ungläubiger“ getötet wird? So machten sich die Gefährdetsten auf den Weg – und hoffen nun verzweifelt auf die Möglichkeit, ihre Lieben herzuholen. Gleichzeitig ist für Gegner des Regimes eine Heimkehr auch auf längere Sicht unmöglich. Für sie selbst, vor allem aber auch für ihre Angehörigen ist der Familiennachzug deshalb der sehnlichste Wunsch.

„Russland hat Syrien längst befreit.“
Die unterschiedlichen Akteure des Kriegs in Syrien haben oft auch Unterstützung von außen – durch Russland, die USA – erhalten, aber sie sind immer eins geblieben: Parteiisch. Selbst im vermeintlich „befreiten“ Aleppo herrscht kein Frieden, sondern lediglich die Vorherrschaft einer der vielen Konfliktparteien – mit entsprechenden Folgen für die jeweilige Gegenseite. Wir machen uns diese parteiische Sicht nicht zu eigen, sondern richten unser Augenmerk auf die Individuen und ihre Familien; wo Gefahr besteht, versuchen wir humanitär zu helfen, wenn unsere Spenden das zulassen.

„Ihr betreibt die Islamisierung Deutschlands.“
Die Menschen, die wir herholen, kommen aus ganz verschiedenen Glaubensrichtungen. Es sind auch viele Christen darunter, Atheisten, gemäßigte Muslime. Menschen mit einem islamistischen Sendungsbewusstsein waren bisher keine dabei; generell steht für die allermeisten der Menschen (von denen weit mehr als ein Drittel Kinder sind, ein Drittel alt, über 60% weiblich) die Religion nicht im Vordergrund ihres Denkens. Vom überwiegenden Teil hören wir auch „Wenn der Krieg vorbei ist, kehren wir heim“. Die Menschen, die wir herholen, sind nicht freiwillig hier und wollen oft auch gar nicht bleiben. Sie haben alles zurücklassen müssen und leiden darunter. Sie verfolgen keine „Islamisierungs-Mission“, sondern retten meist schlicht ihre Haut aus dem Krieg hierher.

„Ihr lockt die Menschen in Bürgschaften, mit denen sie sich ruinieren.“
Seit dem Inkrafttreten des Integrationsgesetzes am 6.8.2016 ist der Umfang einer Verpflichtungserklärung klar definiert: Sie ist befristet auf 5 Jahre und tritt für das ein, was ein Mensch von Sozialamt oder Jobcenter erhält – also die Grundsicherung nach SGB II (Höchstsatz 409 €) und den Zuschuss zur Miete (ebenfalls höchstens 400 €). Das kalkulierbare Risiko einer Verpflichtungserklärung liegt also bei maximal ca. 800 x 12 x 5 = 48.000 €. Dieses Risiko ist jedem, der unterschreibt, vorher bekannt. Gleichzeitig sagen wir aber auch: Solange es uns gibt, werden nicht die Bürgen, sondern WIR als Verein diese Kosten tragen – aus dem Geld von nun schon 4.600 monatlichen Patenschaften ab 10€, die monatlich 110.000 € zusammenbringen. Von den derzeit rund 180 Bürginnen und Bürgen musste in den zweieinhalb Jahren unseres Bestehens nicht EINER auch nur einen Cent zahlen. Und unser Familienkonto ist für spendenärmere Zeiten gut gefüllt.

„Ihr helft den Falschen – deutsche Rentner, Kinder, Tierheime brauchen Hilfe.“
Wir vergleichen das eine Elend nicht mit dem anderen, sondern meinen: Wer Hilfe braucht, soll sie bekommen. Gleichzeitig bleibt es jedem selbst überlassen, wo er oder sie mit ihrem Geld helfen will. Unsere Patinnen und Paten helfen mit ihrem eigenen Geld im Krieg in Syrien – und entlasten damit sogar den Staat von dieser humanitären Aufgabe und geben ihm so noch mehr Raum für die Hilfe im eigenen Land.

„Syrien muss in Syrien geholfen werden, nicht hier.“
Es wäre schön, wenn das in großem Umfang möglich wäre (und Programme z.B. zur Lebensmittelversorgung vor Ort leisten mitunter schon Bewundernswertes) – aber das ist nicht unsere Aufgabe. Auch wir sind für die humanitäre Hilfe vor Ort, für die Beseitigung von Fluchtursachen, einen Wiederaufbau, wo er möglich ist. Gleichzeitig bleibt aber die humanitäre Frage, was mit den Geflohenen, die oft nicht einfach zurückkehren können, und ihren getrennten Familien geschehen soll. Hier ist Familiennachzug eine praktikable 1:1-Hilfe, die wir leisten können. Nicht als einzige Hilfe in der syrischen Situation – aber als eine, die wir mit unseren Bürgschaften und Paten leisten können.

„Deutschland macht ja wohl genug in Sachen Flüchtlingen, jetzt sind erstmal die anderen dran.“
In einer europa- oder weltweiten Perspektive schneidet Deutschlands Flüchtlingspolitik vielleicht ganz gut ab. Aber Tatsache ist auch, dass in unserem Land von vielen Akteuren fleißig daran gearbeitet wird, das zu ändern. Das Gerangel um die „sicheren“ Herkunftsländer ist ein Beispiel. Die Durchsetzung von Dublin II (einer Vereinbarung, nach der das europäische Land, in das ein Geflohener den ersten Schritt setzt, für ihn zuständig ist) verschiebt das Problem in Länder wie Griechenland, Spanien oder Italien, weil Deutschland ja keine Mittelmeerküste hat. Und auch für „unsere“ syrischen Geflohenen verschlechtern sich die Bedingungen stetig weiter, vor allem im Familiennachzug. Den minderen „subsidiären Schutz“, zuvor in der Asylpraxis unbedeutend, erhalten plötzlich mehr als 70% der syrischen Antragsteller, seitdem der Familiennachzug hier ausgesetzt wurde. Diese Aussetzung soll eigentlich am 16.3.2018 enden – doch Seehofer und de Maizières haben schon im Bundestagswahlkampf eine Verlängerung dieses Verbots angekündigt. Wer als Flüchtling anerkannt wird, wartet mehr als ein Jahr auf einen Botschaftstermin, um seine Lieben herzuholen. Asylanträge dauern noch immer quälend lange. Und minderjährige Geflohene, die nicht zuletzt aus der Kinderrechtskonvention einen Rechtsanspruch auf das Zusammensein mit ihrer Familie haben, erleben fassungslos, wie minderjährigen Geschwistern das rettende Visum verweigert wird.
Solange diese Hürden bestehen und höher werden, können wir von einer ausreichenden Hilfe für Geflohene nicht sprechen.
Und letztlich: Sollen wir der 10 Monate alten K., deren Eltern ein Visum nach Deutschland bekommen haben, während es ihr selbst verweigert wurde, – sollen wir der sagen „Deutschland macht schon genug, bleib draußen“? Nein, natürlich nicht. Wir holen sie mit einer Bürgschaft her und werden das auch weiter tun!

„Was Euch nicht passt wird gelöscht,das ist wieder typisch. Volksblödung! Meinungsverdreher!“
Wir haben in zweieinhalb Jahren ein paar hundert Facebook-Posts geschrieben und lesen dort immer wieder die Kritikpunkte, die wir auf dieser Seite zusammengetragen haben. Wir weichen einer Diskussion über diese Meinungen nicht aus, aber wir können sie nicht unter jedem einzelnen Post immer wieder kommentieren. Bei unseren Facebookposts geht es meist um tagesaktuelle Aniegen, die wir nicht zu allgemeinen Diskussionen über Für und Wider der Flüchtlingspolitik ausufern lassen. Darum werden wiederkehrende Punkte mit Verweis auf diese Seite gelöscht. Letztlich dürfen wir auf unserer Facebookseite ja auch tun, was wir wollen, oder?“

Haben Sie weitere generelle Kritikpunkte an unserer Arbeit? Dann schicken Sie eine Mail an info@fluechtlingspaten-syrien.de. Sachliche Argumente von allgemeinem Interesse nehmen wir gern hier auf.