Was geworden wäre ohne uns: das ist eine Frage, die wir uns manchmal stellen. Für J. ist die Antwort klar, – denn ihn brachten wir heute nachmittag auf schnellstem Weg vom Flughafen zur Charité. Als Chronischkranker hätte er die Flucht übers Mittelmeer nie wagen können: doch auch Dazubleiben hätte seinen sicheren Tod bedeutet.
In Berlin-Tegel warten wir heute auf einen Fluggast in der Maschine aus Baghdad. Syrischen Kurden ist der Weg in die Türkei verwehrt; sie fliehen in den Nordirak, nach Erbil, und wir wickeln das Visum-Prozedere über die dortige Detusche Botschaft ab. J. ist von seinem Vater nach Erbil gebracht worden; allein wäre er für diesen Weg zu schwach gewesen. Vor Jahren hat er die Nieren verloren; seine eigene Mutter hat eine gespendet. Doch das Spenderorgan braucht täglich teure Medizin, die immer häufiger nicht zu bekommen ist. Und die Dialyse im Krankenhaus wird unmöglich, wenn die Krankenhäuser von Verletzten überfüllt und selbst oft Ziele von Bombardierungen und Anschlägen sind. Zuletzt hat sich J.s Blutbild katastrophal verschlechtert – in Syrien zu bleiben, das wäre der sichere Tod. Jetzt schließt ihn am Tegeler Flughafen seine erschütterte Schwester in die Arme. Der junge Mann ist wackelig auf den Beinen; fünf Stunden Flug liegen hinter ihm – selbst das eine Reise, für die er im Grunde zu schwach war. Der Bürge Walter S. ist mit einem syrischen Freund am Airport, hat eine Souvenir-Mütze mitgebracht. J. freut sich sehr, bringt ein Lächeln zustande – doch auch seine Schwester ahnt, dass ihr Bruder jetzt vor allem sehr schnell ärztliche Hilfe braucht. Wir rasen mit dem Taxi durch den Berliner Feierabendverkehr, checken in der Charite in Mitte ein, müssen weiter in den Wedding. Noch unangemeldet und daher ohne Krankenversicherung; unterstützt von einem losen Netz guter Menschen, die helfen wollen. Im Virchow-Krankenhaus wartet eine zuverlässige Unterstützerin: Christiane A. ist Internistin und selbst zweimalige Bürgin. Nach einer stressigen Woche in ihrer Schöneberger Praxis nimmt sie J. in Empfang, führt Fachgespräche mit den Kolleginnen und begleitet den jungen Mann durch die Nacht, durch die Dialyse – die ersten Schritte in ein Leben in Sicherheit, eine Zukunft ohne Todesangst. Danke an sie und danke an alle, die diese Rettung in allerletzter Minute mit ihren monatlichen 10€ möglich gemacht haben!