
Das hätte A. sich nicht träumen lassen mit ihren 77 Jahren – zu fliegen, das erste Mal im Leben. Aus der Not in die Sicherheit – zu ihren Kindern in Berlin. Wir waren heute nacht am Flughafen dabei!
Berlin Schönefeld, Terminal D, Mitternacht. Bleierne Müdigkeit liegt über der Halle; die Maschine aus Beirut ist fast eine Stunde zu spät. N. wartet mit Kindern, Mann und Bruder auf ihre Mutter, doch das Warten wird lang. Teneriffa, Heraklion, Rom. Die ersten ernsteren Gesichter unter den herausströmenden Touristen: Beirut ist „deboarding“. Und plötzlich ist es so weit; N. reißt die Hände ans Gesicht. Die kleine Frau, die dort erschöpft ihren Kofferwagen schiebt und auf sie zukommt: – das ist sie, das ist A., ihre Mutter. Blumen, Küsse, Tränen – Bruder und Schwester hält jetzt nichts mehr, sie drängeln sich in den Ausgang des Gates, und Mutter und Tochter klammern sich glücklich aneinander. – Ein typische Geschichte aus dem Krieg, die alten Eltern, die ihre Kinder zur Flucht ermutigen. Doch nun ist der Vater tot, und die alte A. blieb allein in Aleppo zurück. Wir haben sie (mit vielen 10-€-Patenschaften) – hergeholt! Von den vielen Enkelkindern sind drei heute nacht mit dabei; sie haben ihre Oma vier lange Jahre nicht gesehen – und umgekehrt auch. Im Horror von Aleppo hat A. an ein Wiedersehen mit ihren Enkelkindern mitunter nicht mehr geglaubt. Manche der Burschen sind in vier Jahren ganz schön groß geworden – und Großmütter auf der ganzen Welt sagen in allen Sprachen das Gleiche: „Kind, bist Du gewachsen!“ N. muss ihre Mutter wieder und wieder und wieder in den Arm nehmen. Und nach der ersten Euphorie des Wiedersehens fordert auch die unendliche Erschöpfung ihren Preis. A. hat den ersten Flug ihres Lebens überstanden … und ist einfach nur noch totmüde. Ein Gruppenbild wie aus dem Bilderbuch. Die Begrüßungssträuße haben unter all den Umarmungen gelitten, aber jedes einzelne glückliche Gesicht sagt heute nacht mehr als jeder Blumenstrauß: So schön, dass Du hier bist, Mama. – – – Aus dem Krieg in Syrien holen wir immer wieder einzelne Menschen hierher. Viel weniger, als wir gern wollten – denn was wir brauchen für unsere Arbeit, ist neben couragierten Bürginnen und Bürgen das Budget, um den Hergeholten fünf Jahre lang Lebensunterhalt und Miete zu bezahlen. 10 € im Monat ist nicht viel Geld – doch viele dieser kleinen Patenschaften bewegen das, was wir heute nacht am Berliner Flughafen erleben durften: Familien, die sich wiedersehen.